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Krisen als Herausforderung
Begegnung von Wissenschaft und Praxis beim Landespsychologentag im
Juli in München
Schon das Thema war in gewisser Weise genial. »Krisen als Herausforderung?« – dazu
hatten sowohl Wirtschaftspsychologen als auch Psychotherapeuten, Notfall- und
Familienpsychologen, ja, eigentlich alle im BDP vereinten Kolleginnen und Kollegen
etwas zu sagen. Und wenn dann noch renommierte Referenten wie Hendrik Bert von
der TU Dresden, Rudolf Egg, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden,
Bernd Gasch, früher Uni Erlangen-Nürnberg, Klaus Schneewind, LMU München,
und BDP-Präsidentin Sabine Siegl in ihrer Eigenschaft als erfahrener Coach
auftreten, stehen die Chancen für einen erkenntnis- und abwechslungsreichen
Landespsychologentag gut. So mag sich die ehemalige Landesgruppenvorsitzende
Angelika Wagner-Link diesen Tag gedacht haben, als sie ihn initiierte. Sie konnte
ihn am 23. Juli nicht mehr miterleben, wäre aber gewisse stolz gewesen auf
die Organisatoren – genannt seien hier Ulrike Hess und Patrick Link – und
froh über den starken Zuspruch aus der Landesgruppe.
Damit Führungskräfte in Krisen nicht »verbrennen«
Sabine Siegl sprach im sehr gut gefüllten Saal des Internationalen Begegnungszentrums über
den Coach im Zentrum des Krisenmanagements und beschrieb, wie Krisen z.B. Führungskräfte »verbrennen« können,
weshalb Hilfe in solchen problematischen, mit einem Wendepunkt verknüpften
Entscheidungssituationen so wichtig sein kann. In ihrer Darstellung eines erfolgreichen
Krisenmanagements wurde klar, dass manche Anforderung an Führungskräfte
in Krisensituationen nie auf einem Studienplan stand und dass gerade an diesen
Punkten ein Coach hilfreich sein kann. Er kann einen Perspektivwechsel anregen,
Denkanstöße geben, helfen bei kritischer Selbstreflexion und beim
Setzen von Prioritäten. Besonders plastisch wurde ihr Vortrag durch ein
verfremdetes Beispiel aus der Praxis, bei dem ein Bereichsleiter eines großen
Unternehmens gleich zu Beginn seiner Tätigkeit eine größere Zahl
von Beschäftigten entlassen musste. Statt etwas aufzubauen, wovon er geträumt
hatte, schien es, als sei er zum Abbau verurteilt. Im Coaching gelangen sowohl
Konfliktentschärfung als auch persönliche Stressbewältigung. Die
Fragen aus dem Auditorium zeigten, wie sehr Sabine Siegl genau die Fragen berührt
hatte, die viele Kolleginnen und Kollegen beschäftigten.
Folgen von Arbeitslosigkeit für die Gesundheit
Über Arbeitslosigkeit als eine Krise und gesundheitliche Folgen sprach danach
Dr. Hendrik Bert. Er konnte anhand vieler Daten nachweisen, welche Gruppen es
unter Arbeitslosen gibt (ungebrochen, resigniert, verzweifelt, apathisch) und
wie das mit der Dauer und der materiellen Situation zusammenhängt. Je länger
ein Hauptverdiener in einer Familie arbeitslos ist, desto schlechter ist sein
Gesundheitszustand. Die außergewöhnlich gute Datenlage für seine
Untersuchungen hängt mit der sächsischen Längsschnittstudie (Links
am Ende des Textes) zusammen. Berth ging auf die Folgen von Arbeitslosigkeit
für die physische, psychische und soziale Gesundheit ein. Aber auch allein
die Angst vor Arbeitslosigkeit, die trotz wirtschaftlichen Aufschwungs angesichts
einer immer größeren Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse nicht
aufgehört habe, bleibe nicht folgenlos.
Mit Unfallopfern reden statt über sie
Wenn es einen Preis für besondere Unterhaltsamkeit des Vortrags gegeben
hätte, dann wäre er an Prof. Dr. Bernd Gasch gegangen, und das, obwohl
das »psychische Erste Hilfe« auf den ersten Blick keine Heiterkeit
erwarten lässt. Aber wie Gasch beschrieb, welche Kompetenzen ein Notarzt
eigentlich braucht und welche er in der Regel besitzt, das war sehr kurzweilig.
Seine Erfahrungen aus Hunderten von Trainings, in denen Unfälle simuliert
werden und Ärzte dann üben, wie sie mit Unfallopfern umgehen, zeugten
von dem ungeheuren Bedarf an mehr Wissen über das Reden mit den Betroffenen
anstelle des Redens über sie mit anderen Ärzten oder Helfern. Gasch
stellte am Ende einige Regeln zur psychischen Ersten Hilfe auf, die selbstverständlich
klingen, in der Praxis aber häufig nicht bekannt sind und angewandt werden:
Unfallopfern muss man sagen, wer man ist, dass man jetzt da ist, sich um sie
kümmern wird. Man sollte fachliche Kompetenz erkennen lassen und strukturelle
Informationen über die Art und Dauer der anstehenden Maßnahmen geben.
Verletzte sollten abgeschirmt werden von Zuschauern. Vorsichtiger, aber fester
Körperkontakt an Hand oder Schulter sei gut. Er erklärte auch, wie
wichtig neben dem Sprechen mit den Opfern die Frage danach sei, wie man sonst
noch helfen könne. Manchmal sei es nur ein Telefonat, um das der Patient
bittet und das ihn danach wesentlich entspannter sein lässt.
Psychologische Kompetenz kann der gefährdeten Spezies »Familie« helfen
Nach der Mittagspause, bei der das gut bestückte Büffet geplündert,
aber auch sehr viel diskutiert wurde, wandte sich Prof. Klaus Schneewind der »gefährdeten
Spezies Familie« zu. Angesichts immer mehr allein lebender Menschen und
immer weniger Paaren mit Kindern sieht er Familien in der Krise. Der Geburtenrückgang
(die neuesten Zahlen wurden am 3. August bekannt) ist gravierend. Auf die störenden
Prozesse, die Paare hindern, Kinder zu bekommen, die eventuell sogar zu einer
Scheidung führen, könnten Psychologen sehr gut einwirken. Schneewind
beschrieb dabei nicht nur, was Kindern für eine gesunde Entwicklung brauchen,
sondern auch, woran es Eltern fehlt und welche Gefährdungen des elterlichen »Kerngeschäfts« es
gibt – beim Temperament des Kindes angefangen über die Persönlichkeit
der Eltern, ihre Paarbeziehung, den sozialen Kontext, den Arbeitsplatz, die ökonomische
Lage bis hin zum Medienkonsum. Medien – so Schneewind – seien die
geheimen Miterzieher. Eltern bräuchten heute Erziehungs- und Bildungspartnerschaften
(dafür gibt es verschiedene Programme) sowie Erleichterung bei der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf.
Tatsächliche Kriminalität liegt unter der gefühlten
Wo einige derer landen, denen keine solche Hilfe trotz Bedarfs zuteilwird, wurde
in dem Vortrag von Prof. Dr. Rudolf Egg deutlich, der über »Jugendkriminalität
als krisenhafte Episode« sprach. Ihm war es wichtig, das Ausmaß der
Jugendkriminalität im Lande zurechtzurücken. Die gefühlte Kriminalität
liege deutlich über der tatsächlichen. Letztere sei jetzt wieder auf
dem Niveau der 1960-er-Jahre angekommen und nicht etwa permanent gestiegen. Er
lenkte die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die wichtige Unterscheidung zwischen
episodenhaft auffälligen Jugendlichen und lebenslang auffälligen Menschen.
Ersteres sei bedingt durch die Lücke zwischen körperlicher und sozialer
Reife. In seinem Vortrag ging Egg auch der Frage nach, wieso Gewalt männlich
sei; immerhin werden 85 Prozent aller Gewaltdelikte von Männern verübt
und 90 Prozent der Morde. Was unterscheidet junge Männer von anderen? Welche
helfenden und störenden Einflüsse können dazu beitragen, dass
Entwicklungsaufgaben von ihnen gelöst oder eben nicht gelöst werden?
Welche Rolle spielen Familie, Schule, Erziehungsstil, Kontakte zu Gleichaltrigen
sowie Massenmedien, Alkohol und Drogen? Es gebe eine Reihe von Erklärungsmustern – reaktive,
instrumentelle und expressive – für die Entstehung von Gewalt; vieles
bedürfe noch der Erforschung. Bis zum Schluss des Landespsychologentages
blieben die Reihen dicht gefüllt. Im Anschluss fand eine Mitgliederversammlung
statt, über die an anderer Stelle berichtet werden wird. Die Landesgruppe
plante bei Redaktionsschluss, die Vorträge der Veranstaltung auf ihrer Webseite öffentlich
zugänglich zu machen.
Christa Schaffmann
Sächsische Längsschnittstudie unter: www.wiedervereinigung.de/sls
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